

Die Auseinandersetzung mit Märchen ist auch für PädagogInnen immer wieder interessant und aktuell. Das zeigt sich in dem Workshop “Märchenwerkstatt” in der LehrerInnenfortbildung. Das Konzept ist ein Ganzheitliches.
Wie Märchen die Entwicklung der Kinder unterstützt
Märchen sind wieder „in“, da ihr Wert für die psychische Entwicklung von Kindern immer stärker erkannt wird. Im Alter von drei bis sechs Jahren sind Kinder ganz einer so genannten magischen Weltsicht verhaftet. Da ein Kind in diesem Alter noch keinen Zugang zur naturwissenschaftlichem Weltsicht der Erwachsenen hat, kann es sich technische Abläufe und auch Naturereignisse nur durch geheimnisvolle, eben magische Kräfte erklären.
Märchen – überhaupt noch zeitgemäß?
Diese Frage lässt sich ganz eindeutig bejahen!
Märchen haben sich über Jahrhunderte hinweg in allen Völkern entwickelt und stellen quasi die gebündelten Erfahrungen der Menschheit in Bezug auf Entwicklungen, Beziehungen und Entscheidungen dar, die das Leben des Einzelnen beeinflussen. Märchen „übersetzen“ wichtige menschliche Lebenssituationen in Symbole und Bilder, deren Bedeutung Kinder im Märchenalter mit feinem Gespür erkennen. Sie verstehen die Botschaft der Märchen ganz intuitiv.
Märchen bieten Helden, mit denen sich Kinder identifizieren können. Es ist dabei nicht von Bedeutung, ob es sich um einen Helden oder eine Heldin handelt, da sich Kinder auch gut mit Helden des anderen Geschlechts identifizieren können.
Märchen zeigen Lösungsmöglichkeiten für Konfliktsituationen und problematische Entwicklungsschritte auf.
Das Kind kann sich so unbewusst mit einer möglichen Lösung auseinander setzen, die ihm in seiner Entwicklung und in der Überwindung so mächtiger Gefühle wie Eifersucht, Angst oder Verlassenheit weiterhilft.Märchen regen die Phantasie an. Dies ist gerade in unserer gefühlsarmen und phantasielosen hochtechnisierten Umgebung von großer Wichtigkeit. Beim Hören von Märchen entstehen aus dem Gehörten Bilder in der kindlichen Phantasie. Dies ist ein unschätzbarer Vorteil gegenüber der Reizüberflutung durch vorgefertigte Fernsehbilder, die überhaupt keinen Platz für Phantasiemehr lassen. Selbst die uns Erwachsenen oft antiquiert erscheinende Sprache der Märchen wird von Kindern – zumindest sinngemäß – sehr gut verstanden. Auch fördern neue, unbekannte Wörter die sprachliche Entwicklung.
Sind Märchen grausam und angsteinflößend?
Für Kinder ist das ausgeprägte Schwarz-Weiß-Denken, die klare Unterteilung in Gut und Böse im Märchen von großer Wichtigkeit. Kinder brauchen klare Verhältnisse, damit sie sich orientieren können und um zu unterscheiden, was gut und was schlecht ist. Erst später sind sie in der Lage zu erkennen, dass es verschiedene Möglichkeiten auf der Skala zwischen Gut und Böse gibt. Erwachsene sind oft über die drakonischen Strafen, die in Märchen verhängt werden, entsetzt. Kinder haben hiermit allerdings überhaupt keine Probleme, da sie es nur für gerecht halten, wenn die „Bösen“ hart bestraft werden. Erst durch die Polarisierung von Gut und Böse im Märchen finden Kinder im Vorschulalter zu einem differenzierteren Bild der Gerechtigkeit und plädieren dann auch für mildere Strafen. Im Märchen werden unbewusste Ängste thematisiert, die für alle Kinder zur Entwicklung dazugehören. Trotzdem machen Märchen dem Kind keine Angst, da die dazugehörigen Phantasie-Bilder im Kopf des Kindes ja in geborgener Atmosphäre in Ihrem Beisein beim Erzählen oder Vorlesen entstehen. Märchen verleihen lediglich den Ängsten, mit denen sich das Kind gerade beschäftigt, Gestalt und zeigen Wege auf, wie diese zu bewältigen sind. Nimmt die Angst des Kindes, gefressen zu werden, wie im Märchen „Hänsel und Gretel“ die Gestalt der bösen Hexe an, so kann es sich davon befreien, indem
die Hexe im Backofen verbrannt wird.
Wer ist wer im Märchen?
Märchenfiguren, mit denen sich das Kind identifiziert, spielen oft eine Rolle, die sich das Kind (noch) nicht zutraut. Indem es die Märchenfigur für sich handeln lässt, kann es – ganz in Sicherheit – neue Erfahrungen machen und neue Rollen, durch spielen, gestalten oder zeichnen, neu einüben.